Coburg lässt sich von einem anfänglichen Rückstand und auch von vier vergebenen Strafwürfen diesmal nicht aus der Ruhe bringen.

Wer am verschneiten Samstagabend nicht den Weg in die HUK-COBURG arena gefunden hat und bei der Minuskulisse von 1.749, dem geringsten Besuch seit 2012, waren das sehr viele, hat den besten Auftritt des HSC 2000 Coburg in den vergangenen zwei Monaten verpasst. Denn trotz vier vergebener Strafwürfe hatte die Mannschaft von Jan Gorr den Gegner HSG Nordhorn-Lingen beim 30:22-Sieg klar im Griff, auch wenn das nach zehn Minuten noch ganz anders ausgesehen hatte. „Am Anfang war es so wie unsere Saison so läuft, vielleicht haben wir uns ein bisschen zu viel vorgenommen. Und plötzlich in der Unterzahl Vier gegen sechs dreht sich das auf einmal und danach spielen wir eine Bombenabwehr und zu Olis starker Leistung brauche ich gar nichts zu sagen“, zeigte sich Spielführer Till Riehn erfreut über eine endlich einmal wieder starke Leistung des Teams. Auch die Verletztenreihen lichteten sich, doch das war nicht ausschlaggebend. Der Mann des Abends war Tobias Varvne, der seine Nebenleute nicht nur immer wieder geschickt einsetzte, sondern selbst unheimlichen Zug zum Tor entwickelte und acht Mal erfolgreich war. Kurios – ausgerechnet als Coburg in doppelter Unterzahl war, kippte die bis dahin von Nordhorn-Lingen bestimmte Partie.

HSG-Trainer Heiner Bültmann hatte es im TAGEBLATT-Interview am vergangenen Donnerstag fast richtig vermutet. Denn er rechnete mit der Rückkehr einiger Verletzter und sollte Recht behalten. Jan Gorr hatte sich dazu nicht konkret geäußert, sprach von wichtigen Fortschritten. Aber für Marko Neloski und Philipp Barsties waren die Verletzungen bis zum Spieltag am vergangenen Samstag soweit auskuriert, dass sich die Verletztenliste der Coburger binnen einer Woche halbiert hat. Nachdem TW Jan Kulhanek bereits vergangene Woche gegen Rimpar ins Tor zurückkehrte, gab es gegen Nordhorn-Lingen die Rückkehr des Abwehrspezialisten Philipp Barsties, der aber nicht zum Einsatz kam, wo hingegen Marko Neloski den Platz von Romas Kirveliavicius nach dessen roter Karte einnahm.

Jan Gorr schickte die Anfangsformation der letzten Wochen aufs Feld. Bemerkenswert waren die vielen Strafwurftore in der Anfangsphase, wobei die Gästeabwehr noch einen Tick besser auf den HSC-Angriff eingestellt war, als auf der anderen Seite. Die Coburger ließen sich mit schnellen Vorstößen zu oft überraschen, sahen sich nach 13 Minuten nach umstrittenen Zeitstrafen mit zwei Mann in Unterzahl und drei Treffern in Rückstand. In dieser Phase parierte Oliver Krechel seinen ersten Ball (!), den völlig frei vom Kreis. Jan Gorr hatte zu diesem Zeitpunkt so langsam einen Torwartwechsel in Erwägung gezogen. Doch dieser späten ersten Parade, folgen noch sensationelle weitere 18, was die Fans mit „Oli, Oli“-Sprechchören feierten. Seine Vorderleute machten aus dem vermeintlichen Nachteil der zahlenmäßigen Unterlegenheit den 8:8-Ausgleich. Danach war es genau umgekehrt, jetzt war Nordhorn-Lingen mit zwei Mann in Unterzahl. Geschickt verstanden sie es 100 Sekunden lang den Angriff auszuspielen. Mit Ablauf der Strafzeiten gelang Felix Sproß die erste HSC-Führung des Spiels.

Eine höhere Führung wurde im Anschluss vergeben. Zunächst scheiterte Till Riehn mit seinem zweiten Strafwurf, dann vergaben erst Sebastian Weber und im Nachwurf Markus Hagelin vom Kreis. Aber wenig später lagen die Coburger mit vier Toren in Front. Der Grundstein dafür wurde mit einer aufmerksamen, bissigen Abwehr gelegt und endlich zeigten die Coburger, dass sie auch das Kontern nicht verlernt haben. Riskant waren zwar die meisten, doch Coburg verfuhr da nach dem Motto – wer wagt, gewinnt und machte so aus einem Drei-Tore-Rückstand nach elf Minuten eine 16:11-Halbzeitführung. Nordhorn-Lingen hatte mehr und mehr seine spielerische Linie verloren, versuchte es zu oft im Eins gegen Eins und spielte Coburg damit in die Karten.

Unglücklich verlief der Start in die zweite Halbzeit aus Coburger Sicht. Erst wurde ein klares Foul an Varvne nicht geahndet und der Gegenzug führte zum Treffer für Nordhorn Lingen, anschließend vergab der HSC seinen dritten Strafwurf. Aber sie ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, obwohl sie einige klare Chancen liegen ließen. Dabei hatte gerade Torgarant Florian Billek einen rabenschwarzen Tag erwischt. Doch auch gegen die jetzt in einer 5:1-Formationen agierende HSG-Abwehr behielten sie den Überblick, verteidigten geschickt die Führung, allem Unbill zum Trotz. Denn nach 42 Minuten kassierte der HSC die erste rote Karte der Saison, nachdem Kirveliavicius drei Zeitstrafen bekommen hatte. Doch der Schwung war trotzdem dahin, spätestens als Wucherpfennig als dritter Werfer mit dem insgesamt vierten Strafwurf scheiterte.

Jetzt war zudem eine gereizte Stimmung spürbar, SR Lier musste sich sogar beide Trainer an den Kampfrichtertisch holen, da die sich über die Entfernung verbal ziemlich in der Wolle hatten. In der Pressekonferenz gaben sich beide dann aber diplomatisch und versöhnt: „War da was? – Handball ist ein emotionaler Sport“, sagte Heiner Bültmann und Jan Gorr ergänzte, „der von beiden Coaches heute sehr emotional geführt wurde.“ Da war das Thema erledigt und somit schnell vergessen. Im Anschluss an die Pressekonferenz tauschten sie sich bereits wieder handball-taktisch aus. Also alles halb so schlimm.

Für „Kiwi“ kam Neloski, als die Partie so bisschen auf der Kippe stand. Denn die die vier vergebenen Strafwürfe hätten für die Coburger durchaus ein böses Ende nehmen können, da die Gäste sich lange nicht abschütteln ließen. Aber nach dem 23:20 rührte Coburg in der Abwehr so richtig Beton an, ließ fast zehn Minuten keinen weiteren Treffer mehr zu und zog auf zehn Tore davon.

Stimmen

HSC-Trainer Jan Gorr: „Das war ein sehr wichtiger Erfolg in einer anspruchsvollen Aufgabe. In den ersten zehn Minuten hat Nordhorn gezeigt was das Team ausmacht. Dann ist es uns aber anders als in den letzten Spielen gelungen bis zum Ende eine solide Leistung mit viel Leidenschaft zu zeigen.“

HSG-Trainer Heiner Bültmann: „Es war ein verdienter Sieg der Coburger, obwohl wir sehr gut in die Partie gekommen sind. Dann kommt nach den Zeitstrafen und der daraus entstehenden Unruhe ein klarer Bruch in unser Spiel. Coburg hat das ausgenutzt und wir nicht mehr zu unserer Leistung aus der Anfangsphase gefunden.“

HSC-Kreisläufer Sebastian Weber: „Wir sind aus unserer stabilen Abwehr, die wir in der Saison ja schon öfters gezeigt haben, diesmal besser in die Gegenstöße gekommen. Das haben wir konsequenter gemacht als in den letzten Wochen und haben Nordhorn damit unter Druck gesetzt.“

HSC-Spielführer Till Riehn: „Wir haben heute einige Tore über die erste Welle gemacht und das hat uns sehr gut getan. Da spielt es sich dann natürlich auch leichter und damit haben wir einen weiteren Schritt nach vorne gemacht. Es ist lange her, dass wir eine solch überzeugende Leistung geboten haben.“

Statistik

HSC 2000 Coburg – HSG Nordhorn-Lingen 30:22 (16:11)

HSC 2000 Coburg: Jan Kulhanek (n.e.), Oliver Krechel (22 Gegentore, 19 Paraden); Philipp Barsties (n.e.), Markus Hagelin (1), Lukas Wucherpfennig (3/2), Felix Sproß (5), Dominic Kelm, Sebastian Weber (4), Stefan Lex (4), Benedikt Kellner (n.e.), Florian Billek (1), Till Riehn (2/1), Marko Neloski, Tobias Varvne (8), Romas Kirveliavicius (2). Trainer: Jan Gorr.

HSG Nordhorn-Lingen: Björn Buhrmester (30 Gegentore, 14 Paraden), Fabian Kaleun (n.e.); Nicky Verjans (1), Lutz Heiny (1), Toon Leenders (1), Pavel Mickal (2), Patrick Miedema (3), Yannik Fraatz (6), Alexander Terwolbeck (1), Luca de Boer (1), Philipp Vorlicek (2), Alec Smit, Lasse Seidel (4/3), Johannes van Lengerich. Trainer: Heiner Bültmann.

SR: Jan Lier / Manuel Lier

Spielfilm: 2:2 (5.), 3:4 (7.), 4:7 (11.), 5:7 (12.), 8:8 (17.), 8:9 (19.), 11:8 (22.), 13:9 (25.), 15:10 (28.), 16:11 – 17:12 (32.), 17:13 (33.), 19:13 (36.), 20:14 (37.), 21:15 (39.), 21:18 (44.), 21:19 (47.), 22:19 (48.), 23:20 (49.), 30:20 (59.), 30:22.

Zuschauer: 1.749 in der HUK-COBURG arena

Strafminuten: 10 (Kirveliavicius 6 – rote Karte nach 42:02 min, Kelm, Hagelin) – 10 (Miedema, Verjans, Heiny, de Boer, Fraatz)

Siebenmeter: 3/7 (Riehn scheitert zwei Mal an Buhrmester, verwandelt einmal im Nachwurf, Billek und Wucherpfennig scheitern an Buhrmester) – 3/3

Beste Spieler: Varvne, Sproß, Krechel – Fraatz, Vorlicek.

Bericht von Ralph Bilek
Bilder von Henning Rosenbusch (www.henning-rosenbusch.de)