„Hier spüre ich das Vertrauen in mich“
Marcel Timm begann in seinem Heimatort Oberwiehl im Alter von acht Jahren mit dem Handballsport. Mit 14 ging er an die Akademie des VfL Gummersbach, durchlief dort die verschiedenen Jugendmannschaften und absolvierte schließlich auch seine ersten Einsätze in der 1. Bundesliga. Im vergangenen Jahr wechselte der 21-jährige Kreisläufer zum HSC 2000 Coburg, wo er auf Grund seiner Leistungen und seiner emotionalen Spielweise längst zu einem Publikumsliebling geworden ist.
Noch heute muss Marcel Timm ein wenig schmunzeln, wenn er an den Beginn seiner Handballkarriere zurückdenkt. „Da war ich sieben oder acht Jahre alt und immer so ein kleiner Rabauke in der Grundschule gewesen. Ich musste mich immer bewegen, musste immer laufen, konnte nie stillsitzen. Eine Lehrerin hat dann meine Eltern angesprochen: ,Der Marcel, der muss sich da mal was suchen, um seine „Aggressionen“ ein bisschen rauszulassen. Einfach damit er platt wird und mal was zu tun hat unter der Woche.‘ Der Sohn vom Chef meines Vaters spielte damals Handball beim CVJM Oberwiehl und so bin ich dahin gekommen.“ In seinen Anfangsjahren spielte Marcel zeitweise auch im linken Rückraum und sogar im Tor. Letztlich stellten ihn seine Jugendtrainer Christopher Suhr und Simon Oberbüscher aber dann doch an den Kreis. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigen sollte. Denn schon bald nahm seine Karriere mächtig Fahrt auf. Während eines Beachhandball – Turniers, bei dem er mit seinen Jungs vom CVJM auch gegen das Team des VfL Gummersbach gewann, geriet er in den Fokus des aus Suhl stammenden Jörg Lützelberger, der damals parallel zu seiner Profi – Laufbahn beim VfL Gummersbach auch die dortige Handball – Akademie leitete. „Er hat mich dann angerufen auf meinem damaligen Handy. Ich hatte zwar seinen Namen gelesen, aber dann die Nachricht aus Versehen gelöscht. Ich habe dann selbst in der Geschäftsstelle des VfL angerufen und gefragt, ob da vielleicht ein Versehen vorliegt. War es aber zum Glück nicht.“ Bereits als 13-jähriger trainierte Marcel Timm dann einmal pro Woche beim VfL mit, ehe er fest an die Akademie wechselte. „Meine Eltern haben gearbeitet und hatten halt nicht die Zeit, mich zu fahren und die Busverbindungen waren extrem schlecht. Da war man teilweise anderthalb Stunden unterwegs. Ich habe auch meistens meine Hausaufgaben im Bus gemacht oder gelernt, ich habe eigentlich im Bus gelebt. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo es einfach nicht mehr ging. Ich bin Herrn Kienbaum, der auch damals mein Sponsor war beim VfL, noch heute sehr dankbar, dass er mir das Stipendium finanziert hat.“
Wechsel nach Coburg war eine richtige Entscheidung
Aber Marcel zahlte auch mit Leistung zurück. Er avancierte schnell zum Leistungsträger bei den verschiedenen Jugendteams des VfL und durfte sich auch schon bald über die ersten Einladungen zur Jugend – Nationalmannschaft freuen. Der bisherige sportliche Höhepunkt des Handballers Marcel Timm war dann zweifellos die Teilnahme an der U18 – Europameisterschaft 2016 in Kroatien, wo das deutsche Team am Ende die Bronzemedaille gewann. In jenem Jahr hatte der Kreisläufer auch seinen ersten Profi – Vertrag beim VfL Gummersbach unterzeichnet, nachdem er bereits in der Saison zuvor sein Erstliga – Debüt gegeben hatte. Allerdings kam er in jener Zeit vor allem in der A – Jugend – Bundesliga und in der 2. Mannschaft des VfL zum Einsatz. Nicht selten bedeutete dies aber auch zwei bis drei Spiele pro Wochenende – eine oft schwierige Konstellation, der Marcel aber durchaus auch positive Aspekte abgewinnen konnte: „Das prägt einen Spieler. Du lernst einfach Systeme kennen und Eins – eins – Verhalten gegen körperlich robuste Männer. Auf jeden Fall kannst du leichter Fuß fassen, wenn du schon in jungen Jahren lernst, wie man nicht auf die Fresse bekommt.“
Da sich jedoch die erhofften Einsätze im Gummersbacher Erstligateam spürbar in Grenzen hielten, reiften beim ehrgeizigen Youngster erstmals auch Gedanken an einen möglichen Vereinswechsel. Just in dieser Findungsphase erreichte ihn schließlich der Anruf von HSC – Coach Jan Gorr. „Wir haben gleich direkt und offen miteinander gesprochen. Da habe ich sofort das Gefühl gehabt: Der interessiert sich einfach für dich, für deine Zeit oder die kleine Karriere, die du bis da bestritten hast und schätzt das, was du bisher gemacht hast und weiß genau, wo deinen Stärken sind und wo du noch daran arbeiten kannst. Da hat es bei mir Klick im Kopf gemacht.“ Bereut hat der 21jährige seinen Wechsel nach Coburg bislang jedenfalls nicht – im Gegenteil: „Ich bin überwältigt, wie das hier so läuft. Die Abwehr ist zwar meine absolute Stärke. Aber auch im Angriff komme ich so langsam rein, da gibt mir Jan das Vertrauen und lässt mich hinten und vorne spielen. In Gummersbach habe ich das Vertrauen halt nicht bekommen und durfte nur Abwehr spielen. Jan hat von vornherein gesagt: Hey Marcel, ich will, dass du vorne und hinten spielst, du kannst das.“
Noch große Ziele im Visier
Die positive Entwicklung des 1,96 m großen und 104 kg schweren Kraftpakets ist auch andernorts nicht verborgen geblieben. Und so darf sich Marcel Timm nach der Enttäuschung des letzten Jahres, als er letztlich den Sprung in den Kader für die U20 – EM verpasste, diesmal berechtigte Hoffnungen auf eine Teilnahme an der im Juli anstehenden U21 – Weltmeisterschaft in Spanien machen. Schließlich war er bei allen Lehrgängen in diesem Jahr mit von der Partie. „Ich habe zuletzt ein wenig mit mir selbst gehadert und habe versucht, an mir selbst zu arbeiten. Martin (Heuberger) hat das gesehen und hat mir die Chance gegeben, wieder dabei zu sein. Ich werde auf jeden Fall alles geben und auf mich aufmerksam machen und zeigen, dass ich es kann und er mich braucht und ich Bock darauf habe. Und wenn es weiter so gut läuft und ich wieder gut reinkomme, dann sehe ich sehr gute Chancen.“
Wer ihn zudem im Coburger Trikot mit der Nummer 23 auf dem Parkett beobachtet, wenn er seine Freude über gelungene Aktionen herausschreit oder die Fans in wichtigen Phasen zu noch mehr Unterstützung animiert, der spürt in jeder Aktion, dass der junge Kreisläufer auch mit seinen Vereinskollegen noch nicht „fertig hat“. „Ich finde, man soll sich immer Ziele setzen. Und der Aufstieg ist ein großes Ziel, es ist eine super starke Liga.“ Marcel Timm hätte jedenfalls nichts dagegen, sich nach dem Eintrag in das Goldene Buch seiner Heimatstadt Wiehl eines Tages auch im Ehrenbuch der Stadt Coburg zu verewigen. „Es wäre mir eine Ehre, da auf dem Balkon zu stehen. Träumen darf man ja immer.“
Bericht von Gerd Nußpickel
Bild von Henning Rosenbusch